Anmerkungen zur geplanten 4. Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) für einen schnelleren Windkraftausbau
In Deutschland leistet die Windenergie heute und auf absehbare Zeit den größten Beitrag zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Entgegen den Ausbauplänen ist aber der Zubau der Windenergie in den letzten Jahren erheblich eingebrochen. Ein wesentlicher Grund hierfür sind die je nach Bundesland unterschiedlichen Anforderungen beim Naturschutz sowie unklare und widersprüchliche Rechtsvorschriften.
Die Bundesregierung hat angekündigt, diese Rechtsunsicherheit zu beseitigen und den Ausbau der Windenergie wieder auf das für das Erreichen der Klimaschutzziele notwendige Maß zu beschleunigen. Zu diesem Zweck hat die Regierungskoalition u.a. eine Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) geplant. Die in diese Gesetzesänderung gesetzten Hoffnungen werden jedoch nach meiner Überzeugung nicht erreicht. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass sich die Rechtsunsicherheit noch vergrößert und der Ausbau der Windenergie weiter behindert wird.
Besonders bedenklich ist, dass das BNatSchG zum ersten Mal in der deutschen Rechtsgeschichte einen direkten Zusammenhang zwischen Artenschutz und einer bestimmten Wirtschaftsbranche, nämlich der Windenergie, herstellt. So etwas gibt es nicht für die Landwirtschaft, nicht für die Braunkohle, für den Verkehr oder die Chemie. Bei all diesen Branchen wäre ein direkter Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Aktivität und dem Artensterben mit großer Wahrscheinlichkeit nachweisbar. Bei der Windkraftbranche gibt es diesen Zusammenhang dagegen nicht bzw. nur in der Phantasie der Naturschützer, denn es ist bisher auch nach mehreren diesbezüglichen Studien nicht gelungen, einen Zusammenhang zwischen dem Ausbau der Windenergie und dem Artensterben herzustellen. In mehreren Fällen ist es sogar umgekehrt, wie z.B. beim Rotmilan – der entwickelt sich prächtig und die Bestandszahlen steigen europaweit parallel mit der Anzahl der Windkraftanlagen. Übrigens brüten Rotmilane in Deutschland nur zu 18% in Vogelschutzgebieten. Sie finden es offenbar anderswo spannender.
Die reine Vermutung also, möglicherweise aus der Assoziationskette „Vogel – Windkraftanlage – Nähe – also Kollision“ heraus geboren, reicht offenbar aus, um erstmalig eine ganze Branche in Haftung zu nehmen und weitreichende Auflagen, Einschränkungen und vor allem Zahlungen zu verordnen und dies in einem Bundesgesetz festzuschreiben. Wie gesagt: es gibt für diese Vermutung keinen Nachweis, und trotzdem wird sie als Begründung für eine kausalen Zusammenhang herangezogen, während andere Branchen mit nachweisbar negativen Folgen für den Artenschutz unbelastet bleiben. Dies ist eine bemerkenswerte Rechtsposition.
Parallel zum Ausbau der Windkraft sollen Artenhilfsprogramme ausgeführt werden. Artenhilfsprogramme sind an sich eine sinnvolle Aktivität. Allerdings sind sie laut BNatSchG für die sehr seltenen oder/und vom Aussterben bedrohten Arten aufzulegen. Die meisten im Zusammenhang mit der Windenergie genannten, sogenannten „windkraftsensiblen Arten“ sind weder selten noch vom Aussterben bedroht (vgl. dazu die aktuelle Rote Liste 2020). Man definiert hier also nur für die Windenergie den Begriff der Artenhilfsprogramme um, und wendet sie auf Arten an, die nachweislich nicht vom Aussterben oder auch nur einem Rückgang der Tierzahlen bedroht sind. All dies ohne eine wissenschaftliche Begründung, allein aus der Vermutung gespeist, Windkraftanlagen könnten ja gefährlich für die Arten werden. Auch dies ist eine bemerkenswerte Rechtsposition. Ach, und natürlich sollen diese Artenhilfsprogramme von den Windkraftbetreibern finanziert werden. Die Gelder werden vom Bundesamt für Naturschutz verwaltet, die es dann wieder an NABU und Vogelschützer aller Art für die Durchführung von Projekten vergeben. Die Windkraftbranche wird also genötigt diejenigen zu bezahlen, die ihr den ganzen Schlamassel erst eingebrockt haben und täglich aufs Neue einbrocken.
Rund um Windkraftanlagen wird man drei Bereiche definieren, einen Nahbereich und je einen zentralen und einen erweiterten Prüfbereich. Im Nahbereich gilt (wiederum ohne wissenschaftliche oder empirische Begründung) die Regelvermutung, dass durch die Anwesenheit von WKA die Tötungswahrscheinlichkeit signifikant erhöht ist. Dieser Bereich ist damit also ein Tabubereich für Windkraftanlagen (WKA). Man schafft sich auf diese Weise also in ausgewiesenen Vorranggebieten Tabuflächen und torpediert damit das Konzept der Vorranggebiete. Allein die Anwesenheit eines Vogelhorstes genügt, um den Bereich zum Tabubereich werden zu lassen, und selbst wenn er den Horst wieder verlässt, muss eine Wartezeit von 3 bis 5 Jahren eingehalten werden. Die Vögel halten sich natürlich nicht an die Vorrangflächen, sondern können potentiell überall auftauchen, was die Planungszeiten extrem lang werden lassen kann.
Auch im zentralen Prüfbereich gilt erst einmal die Regelvermutung, dass die Tötungswahrscheinlichkeit signifikant erhöht ist (s.e.T.). Will ein Projektträger trotzdem bauen, muss er diese Vermutung durch geeignete Studien widerlegen. Im erweiterten Prüfbereich gilt diese Regelvermutung nicht, aber der Vogelbestand muss trotzdem umfassend kartiert und unter ausgewählten Aspekten bewertet werden.
Zum Nachweis einer potentiellen Gefährdung muss eine Habitatpotentialanalyse (HPA) durchgeführt werden. Es gibt allerdings noch keine klare Definition darüber, wie diese HPA durchzuführen ist, was sie enthalten soll und insbesondere wie sie zu bewerten ist. Dies erleichtert es vorläufig Naturschützern und Windkraftgegnern, die HPA in Frage zu stellen. Letztlich können Naturschützer behaupten was sie wollen, wohingegen die Pflicht zum Widerlegen dieser Behauptungen beim Projektträger liegt. Es ist absehbar, dass dies ein willkommener Ansatzpunkt für Klagen gegen Windkraftprojekte sein wird. Wie schon zuvor versäumt es der Gesetzgeber, Rechtspositionen klar zu regeln und belastet damit die Gerichte, was die Projekte um viele Jahre verzögert oder sogar ganz verhindert.
Schwierig wird die rechtssichere Genehmigung von Projekten auch deswegen, weil in der 4. Änderung des NatSchG eine Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe aufgeführt sind, auf die aber im Rahmen der Genehmigung zurückgegriffen wird. Was sind beispielsweise „sensible Gebiete“, „Dichtezentren“, „bedeutsame Dichtezentren“, „Schwerpunkträume“, „regional bedeutsame Gebiete“, „regional bedeutsame Artenansammlungen“, „störungsempfindliche Arten“? Und was ist eine „erhebliche Störung“, eine „Nichtverschlechterung des Erhaltungszustandes“, usw.
Da an potentiellen Windkraftstandorten inzwischen fast überall sogenannte „windkraftsensible Arten“ zu finden sind, kann man Genehmigungen fast nur noch dadurch erwirken, dass man risikomindernde Maßnahmen in „hinreichendem Umfang“ durchführt. Wann der Umfang hinreichend ist und wann nicht, bleibt eine Frage der behördlichen Einschätzung. Eine der möglichen Maßnahmen ist der Einsatz von technischen Abschaltvorrichtungen. Dies ist nicht nur teuer (ca. 500.000 Euro pro System), sondern reduziert natürlich auch die Erträge, je nachdem welche Abschaltzeiten die Behörden festlegen. Je nach Standort und Arten kann sich das zu mehreren tausend Stunden addieren. Wenn nun durch die diversen Auflagen zum Schutz von Vögeln oder Fledermäusen Mehrbelastungen entstehen, dann gibt es im neuen BNatSchG die Möglichkeit einer Ausnahme vom Tötungsverbot nach § 45. Dies ist möglich, wenn eine sogenannte Zumutbarkeitsschwelle, die i.d.R. 6-8 % beträgt, überschritten wird. Wer eine solche Ausnahmegenehmigung haben will, muss allerdings in die Artenhilfsprogramme einzahlen. Zudem sind die technischen Abschaltsysteme trotz inzwischen jahrelanger Erprobung nicht anerkannt. Der Projektentwickler soll also mit einem noch nicht anerkannten System ins Investitionsrisiko gehen, ohne zu wissen, ob es im Betrieb anerkannt wird. Und sowas steht im BNatSchG!!!
Durch die anspruchsvollen Regelungen, die ich zuvor beschrieben habe, werden voraussichtlich sehr viele Projekte in diese Ausnahme getrieben, wodurch die Ausnahme zum Regelfall wird. Dies ist vermutlich weder im Einklang mit dem europäischen Naturschutzrecht, noch dürfte es einer tiefergehenden Rechtsprüfung standhalten. Man beschäftigt also wieder die Gerichte und überlässt die Klärung dieser Rechtsfragen den Projektträgern (unter vollem Projektrisiko).
Übrigens ist hier noch zu bemerken, dass die EU-Kommission die NatSch-Richtlinien hinsichtlich des Tötungsverbots überarbeiten will. Dort ist nämlich aufgefallen, dass die eigentliche Absicht des Tötungsverbots die Vermeidung einer absichtlichen oder vorsätzlichen Tötung von Tieren war, nicht aber eine grundsätzlich unvermeidliche Tötung durch zivilisatorische Aktivitäten. Denn wäre dies nicht so, dann müssten sofort die meisten landwirtschaftlichen Aktivitäten beendet, alle Straßen und Bahnstrecken stillgelegt, alle Fenster an Gebäuden entspiegelt und viele Fabriken geschlossen werden. Auf diese angekündigte Überarbeitung geht die 4. Änderung aber mit keinem Wort ein.
Besonders fragwürdig ist es auch, über eine Signifikanzschwelle bei der Tötungswahrscheinlichkeit zu fabulieren, die ggfs. überschritten wird, wenn diese Schwelle gar nicht anhand von realen Zahlen definiert wird, sondern sich nur aus einer Regelvermutung im Abstand zur WKA ergibt. Niemand weiß, wie hoch die Tötungswahrscheinlichkeit durch WKA wirklich ist und ab wann sie signifikant wird, allein schon deshalb, weil niemand die sonstige zivilisatorische Tötungswahrscheinlichkeit für die Arten in die Betrachtung einstellt. Man kann aber, mathematisch gesehen, über erhöhte Wahrscheinlichkeiten nur dann eine Aussage machen, wenn man die Basiswahrscheinlichkeit (das Hintergrundrauschen) kennt. Das versteht jede/r Physiker/in sofort, beim Vogelschutz spielen solche mathematischen Selbstverständlichkeiten aber offenbar keine Rolle.
Fazit: Das Gesetz schafft in der Summe weder Klarheit noch Rechtssicherheit, sondern verfestigt die Grundthese, dass von der Windkraft (als einziger singulärer Branche) eine Gefahr für den Artenschutz ausgeht. Die wirklichen Probleme beim Artenschutz werden nicht angepackt, dafür wird mit viel Aufwand ein Nebenschauplatz eröffnet, der die Umsetzung der Energiewende massiv ausbremsen wird.
So geht Energiewende definitiv nicht!
Hier nochmal die Kritikpunkte in Stichworten:
- Es wird ohne empirischen Beweis davon ausgegangen, dass von Windkraftanlagen eine erhebliche Gefahr für Vögel und Fledermäuse ausgeht, und dass zur Vermeidung dieser hypothetischen Gefahren Maßnahmen ergriffen werden müssen. Dies ist ein bisher einmaliger Vorgang im BNatSchG.
- Aus diesen vermuteten Gefahren leiten sich Tabuzonen ab, innerhalb denen nicht gebaut werden darf. Diese Tabuzonen sind aber nicht fest sondern als Naturgeschehen dynamisch, je nach dem Verhalten der betreffenden Tiere (z.B. wenn diese neue Horste besetzen). Der Begriff der Vorranggebiete wird auf diese Weise durch das Gesetz selbst kannibalisiert.
- Bei Vorkommen in den definierten Prüfbereichen muss eine Habitatpotentialanalyse erstellt werden. Dazu gibt es noch keine Ausführungsbestimmungen, und es ist auch in der Zukunft zu erwarten, dass diese von Vogelschutzverbänden angezweifelt und eventuelle Genehmigungen beklagt werden. Zudem beinhaltet das Änderungsgesetz eine Reihe entscheidungsrelevanter, aber rechtlich nicht definierter Begriffe. Es ist absehbar, dass dies Anlass für zahlreiche Klagen gegen Genehmigungen geben wird. Es erschließt sich nicht, wieso sich der Gesetzgeber sehenden Auges in dieses Dilemma bewegt und dabei das angestrebte Ziel, Klarheit und Rechtssicherheit zu schaffen, schon im Ansatz verwirkt.
- Zur Vermeidung der hypothetischen Kollisionsgefahr sind Abschaltungen vorgesehen sowie technische Warn- und Abschaltsysteme zu installieren. Überschreiten die Kosten bzw. Mindererträge eine sogenannte Zumutbarkeitsschwelle, dann kann die Genehmigung des Projektes nur in Verbindung mit einer artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung erteilt werden.
Es ist aufgrund der restriktiven Vorschriften allerdings zu vermuten, dass diese Ausnahmen zukünftig sehr häufig angewandt, wenn nicht gar zur Regel werden. Dies widerspricht dem Gesetzeszweck einer Ausnahmeregelung und ist rechtlich äußerst fragwürdig. Es bietet somit einen weiteren Ansatzpunkt für Klagen. - Die von der EU angekündigte Überarbeitung der Naturschutzrichtlinie in Bezug auf das Tötungsverbot wurde weder abgewartet noch berücksichtigt. Man geht also voraussichtlich weit über die absehbaren EU-Vorgaben hinaus und schafft sich somit Probleme bei der Umsetzung, die bei sorgfältiger Analyse der Zusammenhänge vermeidbar gewesen wären.